Teil B Allgemeine Empfehlungen für das Formulieren von Rechtsvorschriften
1Sprachliche Gestaltung von Gesetzen und Rechtsverordnungen
1.1Juristische Fachsprache
- Nur wer genau weiß, was er vermitteln will, kann sich kurz und verständlich ausdrücken!
- Klarer Inhalt und gute Sprache gehen Hand in Hand!
Die Sprachwissenschaft beurteilt die Verständlichkeit von Texten nach Einfachheit, Kürze und Prägnanz sowie Gliederung und Ordnung. Diese Merkmale gelten auch für die Sprache der Gesetze und Verordnungen. Um Texte verständlich zu verfassen oder um sie sprachlich zu verbessern, sind drei Ebenen zu beachten: Wortwahl, Satzbau und Textaufbau.
Vorschriftentexte müssen sprachlich richtig und möglichst für jedermann verständlich gefasst sein (§ 42 Absatz 5 Satz 1 GGO). Wer Rechtsvorschriften formuliert, muss also darum ringen, sie sprachlich so genau zu fassen, wie es nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist. Die Betroffenen sollen auf Grund der gesetzlichen Regelung in der Lage sein, den rechtlichen Rahmen ohne juristische Beratung zu erkennen und ihr Verhalten entsprechend auszurichten. Gerichte sollen anhand der Regelung entscheiden können. Die Grenzen von Verwaltungshandeln sollen nach Inhalt, Zweck und Ausmaß erkennbar sein. Insofern besteht eine enge Beziehung zum (inhaltsbezogenen) verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot (Rn. 52 Punkt 7.1. der verfassungsrechtlichen Kontrollfragen); nur eine klare Gesetzessprache schafft Normenklarheit. Gesetze, die sich nur „mit subtiler Sachkenntnis, außerordentlichen methodischen Fähigkeiten und einer gewissen Lust zum Lösen von Denksport-Aufgaben“20 erschließen, erfüllen diese Ansprüche nicht.
20So hat der Bundesfinanzhof das Österreichische Verfassungsgericht im Vorlagebeschluss vom 6. September 2006, Az.: XI R 26/04 zitiert.Wer mit „jedermann“ gemeint ist, hängt davon ab, welcher Personenkreis durch das Gesetz verpflichtet oder berechtigt werden soll. Gesetze, die an einen unbegrenzten Adressatenkreis und damit tatsächlich an „jedermann“ gerichtet sind, wie z. B. das Strafgesetzbuch, sollten von einer durchschnittlich verständigen Person inhaltlich erfasst werden können.
Bei Gesetzen dagegen, die sich an einen eingeschränkten Adressatenkreis richten, sind „jedermann“ vor allem Personen eines speziellen Rechtsgebiets (z. B. Handwerker nach der Handwerksordnung, Winzer nach dem Weingesetz, Richter nach dem Deutschen Richtergesetz). Der Gesetzgeber darf davon ausgehen, dass die Adressaten solcher Rechtsvorschriften über das notwendige Fachwissen verfügen. Laien sollten wenigstens im Überblick erfassen können, welchen Zweck das Gesetz mit welchen Mitteln verfolgt.
Die Gesetzessprache ist Teil der juristischen Fachsprache. Kennzeichen jeder Fachsprache ist eine formalisierte und vereinheitlichte Ausdrucksweise. Fachsprache ist Ausdruck fachlichen Denkens und daher die Sprache von Fachleuten für Fachleute. Wird sie von Nichtfachleuten wahrgenommen, so verliert die Vorschriftensprache ihre unmittelbare Bindung an das fachliche juristische Denken und ihre Beziehung zur fachlichen Systematik. Begriffe und Aussagen erschließen sich dem Laien nicht ohne weiteres.
Eine Besonderheit der juristischen Fachsprache liegt in der Verwendung von Ausdrücken, die der Form nach mit denen der Gemeinsprache, d. h. der allgemein verwendeten Sprache, übereinstimmen, ihrer Bedeutung nach aber von der Gemeinsprache abweichen können. Wörter wie „Eigentum“ und „Besitz“, „Darlehen“ und „Leihe“, „Mord“ und „Totschlag“, „Schuld“, „Widmung“ usw. unterscheiden sich im juristischen Sprachgebrauch erheblich von der Gemeinsprache – es sind juristische Fachausdrücke.
Bei der Regelung von Sachverhalten eines bestimmten Fachbereichs sind manchmal zusätzlich auch dessen fachspezifische Begriffe zu beachten. Diese dürfen jedoch nur verwendet werden, wenn es keine allgemeinverständliche Umschreibung gibt oder wenn eine solche Umschreibung den Umfang der Regelung unverhältnismäßig vergrößern würde. Beispielsweise können Regelungen über Inhaltsstoffe von Lebensmitteln oder über Herstellungsverfahren an die Fachsprache der Lebensmittelhersteller anknüpfen, die diese Regelungen befolgen sollen.
Damit kein für Laien missverständlicher oder gar unverständlicher Vorschriftentext entsteht, müssen die Eigenheiten der Fachsprache beim Abfassen von Gesetzen und Rechtsverordnungen im Auge behalten werden. Für Wörter, die in einer von der Gemeinsprache abweichenden Bedeutung verwendet oder vom Gesetzgeber neu eingeführt werden, kann man Begriffsbestimmungen vorsehen. Wird dagegen ein bereits (durch andere Rechtsvorschriften) eingeführter Begriff übernommen, kann auf eine nochmalige Begriffsbestimmung verzichtet werden. Überflüssige und verwirrende Wiederholungen werden damit vermieden.
Beispiel:
§ 1 Absatz 1 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten:
Eine Ordnungswidrigkeit ist eine rechtswidrige und vorwerfbare Handlung, die den Tatbestand eines Gesetzes verwirklicht, das die Ahndung mit einer Geldbuße zulässt.
Diese Definition gilt für die gesamte Rechtsordnung, es sei denn, der Gesetzgeber regelt in einem anderen Gesetz ausdrücklich etwas anderes.
Es kommt auch vor, dass Wörter verschiedene Bedeutungen haben, je nach dem Regelungszusammenhang, in dem sie stehen („Widerruf“ nach § 355 des Bürgerlichen Gesetzbuchs oder § 49 des Verwaltungsverfahrensgesetzes; „Genehmigung“ nach § 184 des Bürgerlichen Gesetzbuchs oder § 4 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes). Begriffe sind auf Bedeutungsunterschiede und auf ihre richtige Verwendung gründlich zu überprüfen. Die Verständlichkeit wird beeinträchtigt, wenn Begriffe verschieden gebraucht werden, auch wenn das jeweilige Wort aus sich heraus leicht verständlich ist.
Beispiele:
§ 76 Absatz 1 des Aktiengesetzes:
Der Vorstand hat unter eigener Verantwortung die Gesellschaft zu leiten.
Der Begriff „Eigenverantwortung“ meint in diesem Zusammenhang, dass der Vorstand für sein Handeln einstehen und ggf. selbst die Folgen tragen muss.
§ 2 Absatz 1 Satz 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch:
Die Krankenkassen stellen den Versicherten die … Leistungen unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12) zur Verfügung, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden.
In diesem Fall bedeutet „Eigenverantwortung“, dass die Versicherten von den Krankenkassen keine Versicherungsleistungen erhalten.
Einem Begriff, der im Recht bereits verwendet wird, sollte kein anderer Bedeutungsinhalt zugeschrieben werden, wenn dafür kein Anlass besteht. Besser ist es, einen neuen Begriff zu prägen.
Mit Hilfe der Datenbank des Bundesrechts bei juris (Rn. 29 ff.) kann festgestellt werden, in welchen Einzelvorschriften die gleichen Begriffe verwendet werden. Diese Wortkontrolle erleichtert die einheitliche Bildung und Verwendung der Begriffe.
Der Gebrauch von Fachausdrücken muss sorgfältig geplant werden: Zunächst ist zu klären, welche Fachausdrücke aus anderen Vorschriftentexten übernommen oder neu gebildet werden müssen, und was sie bezeichnen sollen. Der innere Zusammenhang zwischen diesen Ausdrücken ist zu ermitteln – eventuell mit Hilfe einer einfachen Skizze, die das Verhältnis der Ausdrücke zueinander abbildet. Auf dieser Grundlage sind die Bezeichnungen festzulegen. Sie müssen eindeutig sein und einheitlich verwendet werden.
1.2Sprachliche Verständlichkeit
Bei Vorschriftentexten haben Genauigkeit und Eindeutigkeit der Texte besonderes Gewicht. Eine genaue und eindeutige juristische Aussage allgemeinverständlich auszudrücken, bedeutet harte Arbeit am Text, die mit Zeit und Mühe verbunden ist.
Es geht um
- die richtigen Wörter,
- die richtigen Sätze,
- Ausgewogenheit zwischen Präzision und Verständlichkeit.
Hier helfen bereits einige allgemeingültige Regeln für verständliche Texte:
- Was wollen Sie sagen?
Halten Sie in Stichwörtern und Skizzen fest, welche Regelungszusammenhänge verdeutlicht werden müssen bzw. welche tatbestandlichen Voraussetzungen zu welchen Rechtsfolgen führen sollen! Danach erstellen Sie einen ersten Formulierungsentwurf und hinterfragen ihn kritisch: - Wie können Sie es besser sagen?
Überprüfen Sie Wortwahl und Satzbau!- Verwenden Sie kurze Sätze! Ein Gedanke – ein Satz!
- Kernaussagen an den Anfang!
- Möglichst nur ein Hauptsatz und nicht mehr als ein Nebensatz!
- Hauptgedanken in den Hauptsatz!
- Bevorzugen Sie Verben! Vermeiden Sie Substantive!
- Vermeiden Sie Attributketten, vor allem umfangreiche Partizipialkonstruktionen! Verwenden Sie stattdessen Relativsätze!
- Vermeiden Sie das Passiv, verwenden Sie das Aktiv!
- Streichen Sie Füllwörter!
- Benutzen Sie kurze Wörter!
Besonderer Sorgfalt bedürfen vor allem neue Rechtsvorschriften. Überarbeitungen bestehender Vorschriften sind dringend geboten, wenn sie unklar sind und zu Anwendungsproblemen führen.
Es gibt auch komplizierte Rechtsmaterien, deren Vorschriften in der Vergangenheit ausschließlich für Juristen auf höchstem Abstraktionsniveau verfasst worden sind.
Beispiel:
§ 164 Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs:
Tritt der Wille, in fremdem Namen zu handeln, nicht erkennbar hervor, so kommt der Mangel des Willens, im eigenen Namen zu handeln, nicht in Betracht.
Der Versuch, den Inhalt dieser Norm allgemeinverständlich auszudrücken, würde nicht nur die Vorschrift wesentlich verlängern. Er könnte auch in die sprachliche und systematische Einheit des Gesetzes eingreifen.
Bei allem Bemühen um Allgemeinverständlichkeit und Präzision gilt aber: In Rechtsvorschriften darf Allgemeinverständlichkeit nicht zu Lasten der inhaltlichen und juristischen Genauigkeit gehen. Der Mangel an Allgemeinverständlichkeit des Vorschriftentextes kann zum Teil durch „Begleittexte“ ausgeglichen werden. Das sind neben der Gesetzesbegründung z. B. erklärende Hinweise auf den Internet-Seiten der Bundesministerien oder Broschüren mit Erläuterungen und Anwendungsbeispielen. Bei diesen Texten sollte die Allgemeinverständlichkeit Vorrang vor der Präzision haben. Werden Gesetze von Verwaltungsbehörden vollzogen, haben diese auch die Aufgabe, zwischen dem Gesetz und den Betroffenen zu „vermitteln“. Die Beratung und Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger durch die Behörden kann mögliche Verständnisschwierigkeiten kompensieren.
1.3Rechtsetzungstechnische Mittel und Verständlichkeit
Oftmals sind Vorschriften auch schwer verständlich, weil besondere rechtsetzungstechnische Mittel verwendet werden (z. B. Fiktion, Regel-Ausnahme-Verhältnis, Verweisung). Betrachtet man nur eine einzelne Vorschrift, lässt sich eine konkrete Sachfrage in der Regel noch nicht abschließend beantworten. Weitere Vorschriften desselben oder eines anderen Gesetzes müssen dafür herangezogen werden. Diese rechtsetzungstechnischen Mittel sind jedoch in der Regel unverzichtbar. Sie machen das Recht übersichtlich und in der Anwendung auf die unterschiedlichsten Sachverhalte handhabbar. Sie sichern die effektive und vor allen Dingen gleichmäßige Anwendung.
Für das Ineinandergreifen der einzelnen Regelungen gibt es Auslegungsregeln und ggf. ausdrückliche Festlegungen. Zum Beispiel wird schon aus der Wortwahl eines Zitats deutlich, ob eine starre Verweisung oder eine gleitende Verweisung (Rn. 225 ff.) gewollt ist. Die verfassungsrechtlichen Vorgaben und die juristische Systematik (z. B. die Hierarchie der Normen, natürliche und juristische Personen) werden vorausgesetzt und müssen im Vorschriftentext nicht wiederholt oder erläutert werden. Bei der Formulierung von Gesetz- und Verordnungsentwürfen darf man davon ausgehen, dass anerkannte Auslegungsregeln von den Behörden und – im Streitfall – von den Gerichten beachtet werden.
1.4Allgemeine Hinweise zur Wortwahl
Die Rechtssprache ist deutsch, ebenso die Amtssprache (§ 23 Absatz 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes) und die Gerichtssprache (§ 184 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes). Daran sollte vor allem denken, wer im Normtext Fremdwörter verwenden oder auf fremdsprachige Texte verweisen möchte (Rn. 78 f.). Selbstverständlich gelten die Regeln der deutschen Rechtschreibung (Rn. 47). Jedoch gibt es in der Normensprache eine Besonderheit: Ist die bisherige Schreibung nach der Rechtschreibreform neben der neuen weiterhin zulässig, soll sie auch weiter verwendet werden. Ziel ist, die Einheitlichkeit der Normensprache weitgehend zu erhalten (Beispiele: „auf Grund“ statt „aufgrund“; „selbständig“ statt „selbstständig“).
Wörter müssen treffend sein und logisch richtig verwendet werden.
Das bedeutet zunächst, dass das gewählte Wort das Gemeinte so genau wie möglich wiedergeben soll.
Beispiel:
§ 17 Absatz 2 des Satellitendatensicherheitsgesetzes:
Eine Anfrage ist sensitiv, wenn …
„Sensitiv“ bedeutet u. a. „sehr empfindlich“, „leicht reizbar“, „feinnervig“ und wird deshalb vor allem mit dem Empfindungsvermögen in Verbindung gebracht. Hinzu kommt: Nicht die Anfrage ist „sensitiv“, sondern erst die Antwort, also die Übermittlung der nachgefragten Daten. Bei „sensitiv“ handelt es sich außerdem um ein vermeidbares Fremd- und Modewort. Besser könnte man formulieren:
Eine Anfrage ist sicherheitserheblich, wenn …
Oder: Eine Anfrage ist auf die Übermittlung sicherheitsempfindlicher Daten gerichtet, wenn …
Ebenso muss auf die Beziehung der Wörter zueinander und den Sinnzusammenhang geachtet werden. Unlogische Bezüge verwirren, verschleiern die Aussage der Vorschrift und lenken vom eigentlichen Regelungszusammenhang ab.
Beispiel:
Statt: … dazu gehören auch Anreize zur Eigenleistung einschließlich Nachbarschaftshilfe.
Besser: … dazu gehören auch Anreize zur Eigenleistung sowie zur Inanspruchnahme von Nachbarschaftshilfe.
Die Vorschriftensprache muss redlich sein, d. h. sie darf Sachverhalte weder verschleiern noch beschönigen.
Würde z. B. in einer Hühnerhaltungsvorschrift für einen engen Drahtverschlag der Ausdruck „Kleinvoliere“ verwendet, so wäre dies beschönigend. Unter „Voliere“ wird nach allgemeinem Sprachgebrauch ein umschlossener, mindestens an drei Seiten eingezäunter, überdachter Raum verstanden, in dem Vögel umherfliegen können. Ein knapper Raum für das Tier wird besser als „Käfig“ bezeichnet.
Beschönigend können auch Anleihen bei der Sprache der Politik oder der Werbesprache sein. Wird etwa eine Änderung von Leistungen als „Dynamisierung“ bezeichnet, so überwiegt die Vorstellung der Leistungssteigerung. Entsprechend darf dieses Wort ebenso wenig wie das Wort „Anpassung“ verwendet werden, um beispielsweise eine Leistungskürzung zu verschleiern.
Die Wortwahl soll zeitgemäß sein. Veraltete oder ungebräuchliche Ausdrücke sind zu vermeiden. So ist das zeitgemäße Wort „Prozent“ der veralteten Bezeichnung „vom Hundert“ vorzuziehen.
Weitere Beispiele:
Statt „Wach- und Schließgewerbe“ besser „Bewachungsgewerbe“.
Statt „Ableben“ besser „Tod“.
Statt „findet Anwendung“ besser „ist anzuwenden“.
Sprachliche Vielfalt und Abwechslung treten bei Rechtsvorschriften oft in den Hintergrund, denn Rechtsnormen sind verständlicher, wenn Wörter oder Wendungen für die gleichen Inhalte immer einheitlich verwendet werden. Das gilt für die Wortwahl innerhalb eines Gesetzes, aber auch gesetzesübergreifend. Will man z. B. anlässlich eines Änderungsvorhabens zeitgemäße Ausdrücke verwenden, obwohl das Gesetz an vielen anderen Stellen veraltete Begriffe enthält, sollten die veralteten Begriffe auch in den übrigen Vorschriften ersetzt werden, insbesondere wenn die novellierten Vorschriften überwiegen.
Dennoch sollte auch in Vorschriftentexten – in Grenzen – auf Abwechslung in der Wortwahl geachtet werden. Soweit es nicht um juristisch geprägte Begriffe und Ausdrucksweisen geht, kann abwechslungsreich formuliert werden. Beispielsweise sollten Wörter weder gehäuft vorkommen noch verwandte Ausdrücke zusammentreffen.
Beispiele:
Statt: Mitglieder des Bundestages sind unbeschadet einer bereits bestehenden Versicherungspflicht verpflichtet, …
Besser: Mitglieder des Bundestages … müssen unbeschadet einer bereits bestehenden Versicherungspflicht …
Statt: Der Arbeitgeber ist berechtigt, das Recht aufzugeben …
Besser: Der Arbeitgeber kann das Recht aufgeben …
Trotz der Forderung nach zeitgemäßer Vorschriftensprache sollten keine Modewörter verwendet werden. Wörter wie z. B. „Optimierung“, „Aktivierung“, „Modalitäten“, „multifunktional“, „Zeithorizont“, „ganzheitlich“ und „Umsetzung“ werden zeitweilig in der allgemeinen Sprache gebraucht, verschwinden aber wieder daraus, sobald andere publikumswirksame Wörter und Redewendungen modern werden.
Weitere Beispiele:
Statt „soweit dies technisch machbar ist“ besser „soweit dies technisch möglich ist“.
Statt „global“ besser „weltweit“.
In der deutschen Sprache lassen sich Hauptwörter beliebig lang verbinden. Gleichwohl sollten Wortzusammensetzungen mit Bedacht gewählt werden. Wortungetüme wie „Schönheitsreparaturkostenpauschale“ oder „Großkreditobergrenzenüberschreitungen“ sind zu vermeiden. Das gilt auch für die Bildung von Kurzbezeichnungen für Gesetze oder Verordnungen (Rn. 334).
Oft können zusammengesetzte Substantive sehr leicht aufgelöst werden.
Beispiel:
Statt „Einkommenserzielungsabsicht“ besser „Absicht, Einkommen zu erzielen“.
Klug verwendet, können Wortzusammensetzungen aber auch der begrifflichen Differenzierung und einem ökonomischen Sprachgebrauch dienen. Folgende Fragen helfen bei der Wortwahl:
- Ist die Zusammensetzung üblich?
- Ist sie übersichtlich und eindeutig?
- Welche Funktion hat die Zusammensetzung im Text; kommt sie beispielsweise als Schlüsselbegriff häufig vor und erleichtert daher das Erfassen des Textes?
Beispiel:
Statt „die für den Schluss eines Geschäftsjahres festgestellte Bilanz“ besser „Jahresschlussbilanz“.
Fremdwörter sollten nicht benutzt werden, schon gar nicht, um einer Mode zu folgen, um etwas zu beschönigen oder zu verschleiern (Rn. 72, 76), also nicht: „JobCenter“, „Management Programme“. Nur wenn es kein treffendes deutsches Wort gibt, kann ein gebräuchliches Fremdwort gewählt werden. Das gilt insbesondere für Wörter, die ursprünglich aus dem Englischen stammen und in die deutsche Sprache Eingang gefunden haben, z. B. für Begriffe aus der Fachsprache der Informationstechnik, die inzwischen in allen gesellschaftlichen Bereichen gebräuchlich sind (z. B. „Internet“, „Homepage“, „Server“) oder auch für standardisierte Berufsbezeichnungen (z. B. Controller/Controllerin).
Wenn Fremdwörter notwendig, aber nicht allgemein bekannt sind, können Begriffsbestimmungen oder „Begleittexte“ helfen (Rn. 59, 65).
Auf fremdsprachige Texte darf in Rechtsvorschriften nicht Bezug genommen werden, auch wenn die Betroffenen (z. B. im Bereich des Luftverkehrsrechts) gewöhnlich den fremdsprachigen Text verwenden. Verweisungstauglich (Rn. 221 ff.) sind nur veröffentlichte deutsche Übersetzungen; die Angabe einer allgemein zugänglichen Fundstelle ist zwingend.
1.5Besondere Hinweise zur Wortwahl
Aus dem Text eines Gesetzes oder einer Rechtsverordnung müssen sich die Adressaten der Regelung, der Tatbestand und die Rechtsfolgen zweifelsfrei ergeben. Insbesondere muss klar zum Ausdruck kommen, inwieweit ein bestimmtes Verhalten gefordert oder verboten wird. Es muss z. B. deutlich werden, ob eine Regelung zwingend oder vertraglich abdingbar ist. Auch muss klar hervorgehen, ob die Verwaltung in ihrem Handeln gebunden ist oder ihr Ermessen eingeräumt wird.
Bei der Formulierung von Ge- und Verboten, die mit Strafe oder Geldbuße bewehrt werden sollen, ist darauf zu achten, dass diese dem strafrechtlichen Bestimmtheitsgebot genügen (Artikel 103 Absatz 2 des Grundgesetzes). Anwendungsbereich und Tragweite der Straftatbestände müssen sich aus dem Gesetzeswortlaut ergeben. Für Regelungen außerhalb des Strafgesetzbuches und des Ordnungswidrigkeitengesetzes sind die Leitsätze „Zur Ausgestaltung von Straf- und Bußgeldvorschriften im Nebenstrafrecht“ entwickelt worden (Rn. 43).
Bei der Verwendung des Wortes „können“ ist Vorsicht geboten, da dieses Wort verschiedene Bedeutungen haben kann. Gemein- und fachsprachliche Bedeutung weisen Unterschiede auf. Mit dem gemeinsprachlichen Wort „können“ werden die Betroffenen – wie mit dem fachsprachlichen Wort „Ermessen“ – auf eine Handlungsmöglichkeit hingewiesen. In verwaltungsrechtlichen Vorschriften wird mit dem Wort „können“ also ausgedrückt, dass der Verwaltung Ermessen eingeräumt wird. Das gemeinsprachliche „können“ wird aber auch im Sinne von „in der Lage sein“ oder „etwas beherrschen“ verwendet.
Beispiele:
§ 437 des Bürgerlichen Gesetzbuchs:
Ist die Sache mangelhaft, kann der Käufer …
- 1.
- … Nacherfüllung verlangen,
- 2.
- … von dem Vertrag zurücktreten oder … den Kaufpreis mindern und
- 3.
- … Schadensersatz oder … Ersatz vergeblicher Aufwendungen verlangen.
Hier wird der Käufer durch das Wort „kann“ auf die verschiedenen Handlungsmöglichkeiten hingewiesen.
§ 121 Absatz 2 Satz 1 des Versicherungsaufsichtsgesetzes:
Die Erlaubnis kann versagt werden, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass eine wirksame Aufsicht über das Rückversicherungsunternehmen beeinträchtigt wird.
Hier bedeutet „kann“ Ermessen.
§ 17 Absatz 1 des Asylverfahrensgesetzes:
Ist der Ausländer der deutschen Sprache nicht hinreichend kundig, so ist von Amts wegen bei der Anhörung ein Dolmetscher, Übersetzer oder sonstiger Sprachmittler hinzuzuziehen, der in die Muttersprache des Ausländers oder in eine andere Sprache zu übersetzen hat, deren Kenntnis vernünftigerweise vorausgesetzt werden kann und in der er sich verständigen kann.
In diesem Zusammenhang bedeutet „kann“ „beherrschen“, „in der Lage sein“.
Soll die Behörde in ihrer Entscheidung gebunden werden oder geht es um Verbote und Gebote, darf das Wort „können“ nicht verwendet werden. Stattdessen sind Befehlsformen wie „müssen“, „sind (haben) zu …“ oder „dürfen nicht“ zu wählen. Die Verpflichtung einer Behörde kann auch mit dem imperativen Präsens ausgedrückt werden („Die zuständige Behörde erteilt …, übersendet …“).
Beispiele:
§ 53 Nummer 1 des Aufenthaltsgesetzes:
Ein Ausländer wird ausgewiesen, wenn er
- 1.
- wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist …
§ 17 Absatz 4 Satz 1 des Gentechnikgesetzes:
Sind von mehreren Anmeldern oder Antragstellern gleichzeitig inhaltlich gleiche Unterlagen bei einer zuständigen Behörde vorzulegen …, so teilt die zuständige Behörde den Anmeldern oder Antragstellern … mit, welche Unterlagen von ihnen gemeinsam vorzulegen sind …
Auch das Wort „sollen“ ist mit Umsicht zu verwenden. Soll-Vorschriften unterscheiden sich von Kann- und Muss-Vorschriften. Sie können Verschiedenes bedeuten: Wenn z. B. eine Behörde tätig werden „soll“, ist sie in der Regel dazu verpflichtet. Sie kann aber ausnahmsweise davon absehen, und zwar in einer atypischen Situation. Das Wort „sollen“ kann aber auch ausdrücken, dass die Rechtsfolge eines Verstoßes weniger schwerwiegend ist. Ein Erblasser beispielsweise „soll“ angeben, zu welcher Zeit und an welchem Ort er das Testament errichtet hat. Fehlen diese Angaben, ist das Testament gleichwohl gültig, wenn sich die notwendigen Feststellungen anderweitig treffen lassen (§ 2247 Absatz 2 und 5 des Bürgerlichen Gesetzbuchs).
Das Wort „gelten“ wird in Rechtsvorschriften ebenfalls in verschiedenen Bedeutungen benutzt. Es kann sich dabei um eine gesetzliche Fiktion, um eine unwiderlegliche oder widerlegliche Vermutung oder um eine Verweisung handeln. Deshalb muss sorgfältig darauf geachtet werden, dass Wortwahl und Regelung eindeutig sind. Oft bringt eine alternative Formulierung mehr Klarheit.
Bei einer Verweisung:
Für die Bestellung der Präsidentin oder des Präsidenten gilt § 35.
Alternativ: Für die Bestellung der Präsidentin oder des Präsidenten ist § 35 anzuwenden.
Bei einer Fiktion:
Eine Mitgliedschaft im Bundestag von mehr als einem halben Jahr gilt als volles Jahr bei der Berechnung nach Satz 2.
Alternativ: Bei der Berechnung nach Satz 2 steht eine Mitgliedschaft im Bundestag von mehr als einem halben Jahr der einjährigen Mitgliedschaft im Bundestag gleich.
Bei einer unwiderleglichen Vermutung:
Die Zustimmung gilt als erteilt, wenn der oder die Betroffene nicht innerhalb der Frist widerspricht.
Alternativ: Es wird unwiderleglich vermutet, dass der oder die Betroffene die Zustimmung erteilt hat, wenn er oder sie nicht innerhalb der Frist widerspricht.
Schon die sprachliche Gestaltung soll erkennen lassen, wer die Darlegungs- und Beweislast zu tragen hat. Ein Konditionalsatz, der mit „wenn nicht“, „soweit nicht“, „sofern nicht“ und „solange nicht“ beginnt, enthält eine Ausnahmeregelung.
Beispiel:
§ 473 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs:
Das Vorkaufsrecht ist nicht übertragbar und geht nicht auf die Erben des Berechtigten über, sofern nicht ein anderes bestimmt ist.
Darin liegt zugleich eine Regelung der Darlegungs- und Beweislast. Die Darlegungs- und Beweislast kann aber auch ausdrücklich festgelegt werden.
Beispiel:
§ 363 des Bürgerlichen Gesetzbuchs:
Hat der Gläubiger eine ihm als Erfüllung angebotene Leistung als Erfüllung angenommen, so trifft ihn die Beweislast, wenn er die Leistung deshalb nicht als Erfüllung gelten lassen will, weil sie eine andere als die geschuldete Leistung oder weil sie unvollständig gewesen sei.
Das Verhältnis mehrerer Regelungen zueinander kann ebenfalls sprachlich klar gefasst werden. Soll zum Ausdruck gebracht werden, dass eine Regelung z. B. zur Kostenerhebung gegenüber anderen zurücktritt (Subsidiarität), so kann formuliert werden „ … soweit nicht in anderen Gesetzen Kostenregelungen enthalten sind“ oder deutlicher „Kostenregelungen anderer Gesetze gehen vor“. Die Formulierung kann auch stärker auf den konkreten Fall zugeschnitten werden: „… soweit nicht nach anderen Gesetzen Kosten erhoben werden“. Solche Bezugnahmen müssen hinreichend genau bestimmt sein.
Sollen neben der jeweiligen Vorschrift weitere Rechtsnormen anwendbar sein, kann formuliert werden: „unbeschadet der Rechte Dritter“ oder „unbeschadet der Vorschriften über“.
Beispiel:
Die Genehmigung wird unbeschadet privater Rechte Dritter erteilt.
Das heißt, dass durch die verwaltungsbehördliche Erteilung der Genehmigung zivilrechtliche Abwehransprüche Dritter nicht ausgeschlossen werden.
Eine Wendung wie „Regelungen anderer Gesetze bleiben unberührt“ kann dagegen Verschiedenes meinen: Es kann sich um einen klarstellenden Hinweis auf andere Rechtsnormen handeln, wobei der Geltungsbereich beider Regelungen sich nicht überschneidet. Durch die Formulierung kann ferner angeordnet werden, dass beide Regelungen nebeneinander anwendbar sind. Manchmal wird mit der Wendung ein Vorrangverhältnis ausgedrückt.
Beispiele:
Klarstellung:
§ 16 Absatz 1 des Strafgesetzbuchs:
Wer bei Begehung der Tat einen Umstand nicht kennt, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört, handelt nicht vorsätzlich. Die Strafbarkeit wegen fahrlässiger Begehung bleibt unberührt.
Das heißt: Wer sich in einem Tatbestandsirrtum befunden hat, kann mangels Vorsatzes nicht wegen eines Vorsatzdelikts bestraft werden. Dagegen ist eine Strafbarkeit wegen fahrlässigen Handelns nicht ausgeschlossen.
Parallele Anwendbarkeit:
§ 13 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes:
(1) Die Beschäftigten haben das Recht, sich bei den zuständigen Stellen des Betriebs, des Unternehmens oder der Dienststelle zu beschweren, …
(2) Die Rechte der Arbeitnehmervertretungen bleiben unberührt.
Neben dem Beschwerderecht nach § 13 Absatz 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes können die Beschäftigten ihre Rechte nach den §§ 84 und 85 des Betriebsverfassungsgesetzes geltend machen.
Vorrangverhältnis:
§ 18 Absatz 2 Satz 1 des Bundeskleingartengesetzes:
Eine bei Inkrafttreten dieses Gesetzes bestehende Befugnis des Kleingärtners, seine Laube zu Wohnzwecken zu nutzen, bleibt unberührt, …
Nach § 3 Absatz 2 Satz 2 des Bundeskleingartengesetzes dürfen Lauben grundsätzlich nicht zu Wohnzwecken genutzt werden. Wer vor dem 1. April 1983 eine Laube bewohnen durfte, behält diese Befugnis; das grundsätzliche Verbot tritt demgegenüber zurück.
Um einzelne Elemente einer Vorschrift zu erläutern oder zu konkretisieren, können Zusätze eingefügt werden, die mit „insbesondere“, „zum Beispiel“, „beispielsweise“ oder „in der Regel“ beginnen. Diese Einleitungen werden verwendet, wenn auch andere gleichartige Fälle, die im Zusatz nicht ausdrücklich genannt werden, von der Vorschrift erfasst werden sollen.
Beispiele:
§ 1 Absatz 3 des Vermögensgesetzes:
Dieses Gesetz betrifft auch Ansprüche an Vermögenswerten sowie Nutzungsrechte, die auf Grund unlauterer Machenschaften, z. B. durch Machtmissbrauch, Korruption, Nötigung oder Täuschung von Seiten des Erwerbers, staatlicher Stellen oder Dritter, erworben wurden.
§ 3 Absatz 1 der Verordnung über kleine und mittlere Feuerungsanlagen:
In Feuerungsanlagen … dürfen nur die folgenden Brennstoffe eingesetzt werden:
…
- 5.
- naturbelassenes nicht stückiges Holz, beispielsweise in Form von Sägemehl, Spänen, Schleifstaub oder Rinde, …
Die Konjunktionen „wenn“, „falls“, „soweit“ und „sofern“ leiten Bedingungssätze ein, jedoch mit folgendem Unterschied: „Wenn“ und „falls“ drücken eine uneingeschränkte oder absolute Bedingung aus; sie schließen die Rechtsfolge ganz aus oder lassen sie ganz zu.
Beispiel:
§ 56f Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Strafgesetzbuchs:
Das Gericht widerruft die Strafaussetzung, wenn der Verurteilte
- 1.
- in der Bewährungszeit eine Straftat begeht und dadurch zeigt, dass die Erwartung, die der Strafaussetzung zugrunde lag, sich nicht erfüllt hat, …
Das heißt, wenn der Verurteilte in der Bewährungszeit eine Straftat begeht, wird die Strafaussetzung widerrufen.
Werden dagegen die einschränkenden Konjunktionen „soweit“, „sofern“ und „solange“ gebraucht, eröffnet die Bedingung einen Spielraum. Die Rechtsfolge gilt nur in dem durch die Regelung festgelegten Umfang. „Soweit“ und „sofern“ sollten immer durch „in dem Maß, wie“ ersetzbar sein.
Beispiel:
§ 6 Satz 1 des Informationsfreiheitsgesetzes:
Der Anspruch auf Informationszugang besteht nicht, soweit der Schutz geistigen Eigentums entgegensteht.
Das heißt, in dem Maß, wie das geistige Eigentum geschützt ist, besteht kein Zugangsrecht.
Das Wort „und“ ist immer dann zu verwenden, wenn in einer Rechtsvorschrift
- verschiedene Tatbestandsvoraussetzungen kumulativ festgelegt werden sollen oder
- an einen Tatbestand verschiedene Rechtsfolgen kumulativ geknüpft werden sollen.
Die einzelnen Glieder einer Aufzählung können auch durch Kommas voneinander getrennt werden. In diesem Fall steht vor dem letzten Aufzählungsglied „und“ oder „sowie“, um den kumulativen Charakter der Aufzählung eindeutig zu machen. Kommt das Wort „und“ schon innerhalb mehrteiliger Aufzählungsglieder vor, wird das letzte Glied der Aufzählung mit „sowie“ angeschlossen.
Beispiel:
§ 1 Absatz 2 der Verordnung über das Berufsbild und über die Prüfungsanforderungen im praktischen und im fachtheoretischen Teil der Meisterprüfung für das Konditoren-Handwerk:
Dem Konditoren-Handwerk sind folgende Kenntnisse und Fertigkeiten zuzurechnen:
…
- 48.
- Warten der Anlagen, Maschinen und Geräte sowie Instandhalten der Werkzeuge.
Das Wort „oder“ ist immer dann zu verwenden, wenn in einer Rechtsvorschrift
- mehrere Tatbestandsvoraussetzungen alternativ festgelegt werden sollen oder
- an einen Tatbestand Rechtsfolgen in der Weise geknüpft werden sollen, dass jeweils nur eine von ihnen eintreten soll.
Beispiel:
§ 439 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs:
Der Käufer kann als Nacherfüllung nach seiner Wahl die Beseitigung des Mangels oder die Lieferung einer mangelfreien Sache verlangen.
Werden die einzelnen Voraussetzungen oder Rechtsfolgen durch Kommas voneinander getrennt, so muss das Wort „oder“ vor die letzte Voraussetzung oder Rechtsfolge gesetzt werden.
Für die Übersichtlichkeit von Aufzählungen empfiehlt es sich häufig, die einzelnen Aufzählungsglieder aufzulisten und zu nummerieren (Rn. 107). Bei solchen Aufzählungen kann die Konjunktion „und“ vor dem letzten Aufzählungsglied weggelassen werden, wenn sich der kumulative Charakter der Aufzählung bereits eindeutig aus dem Einleitungssatz ergibt. Hat die Aufzählung dagegen alternativen Charakter, ist das Wort „oder“ vor die letzte Voraussetzung oder Rechtsfolge zu setzen.
Beispiele:
Bei kumulativem Charakter:
§ 10 Absatz 3 der Schuldnerverzeichnisverordnung:
Der Inhaber der Bewilligung hat dafür Sorge zu tragen, dass ihm ausgehändigte oder übersandte Abdrucke
- 1.
- gesondert aufbewahrt werden,
- 2.
- bis zu ihrer Vernichtung jederzeit auffindbar sind und
- 3.
- gegen unbefugten Zugriff gesichert sind.
Bei alternativem Charakter:
§ 8 Absatz 2 der Verordnung zum Schutz gegen die Blauzungenkrankheit:
Ordnungswidrig im Sinne des § 76 Absatz 2 Nummer 2 des Tierseuchengesetzes handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig
- 1.
- entgegen § 2 Absatz 1 impft,
- 2.
- entgegen § 3 Absatz 3 nicht sicherstellt, dass ein empfängliches Tier aufgestallt oder nicht verbracht wird,
- 3.
- entgegen § 6 Absatz 1 Satz 1 ein empfängliches Tier verbringt oder
- 4.
- entgegen § 6 Absatz 2 eine Anzeige nicht, nicht richtig oder nicht rechtzeitig erstattet.
Die Verknüpfungen „und/oder“ und „bzw.“ sind zu unbestimmt und deshalb nicht zu verwenden. Kommt es nicht darauf an, ob
- tatbestandliche Voraussetzungen gemeinsam oder einzeln vorliegen oder
- Rechtsfolgen nur einzeln oder auch gemeinsam eintreten sollen,
sollte das auch nachvollziehbar ausgedrückt werden.
Beispiel:
§ 3 Absatz 1 der Anlage 2 zu § 21 Luftverkehrs-Ordnung:
Die folgenden, entweder gemeinsam oder einzeln gegebenen Signale bedeuten, dass ein Luftfahrzeug sich in einer schwierigen Lage befindet, die es zur Landung zwingt, jedoch keine sofortige Hilfeleistung erfordert:
- 1.
- wiederholtes Ein- und Ausschalten der Landescheinwerfer;
- 2.
- wiederholtes Ein- und Ausschalten der Positionslichter …
Bei der negativen Umschreibung eines mehrgliedrigen Tatbestandes ist klarzustellen, ob eine alternative oder kumulative Verknüpfung der Glieder gemeint ist.
Beispiel:
Statt: Der Erhöhungssatz ermäßigt sich … bei Wohnraum, der nicht mit einer Zentralheizung und einem Bad ausgestattet ist.
Besser: Der Erhöhungssatz ermäßigt sich … bei Wohnraum, bei dem die Zentralheizung oder das Bad oder beide Ausstattungsmerkmale fehlen.
Die zweite Formulierung ist vorzuziehen, da sich bei der ersten folgende Fragen stellen:
Tritt die Rechtsfolge ein bei Wohnraum ohne Zentralheizung oder bei Wohnraum ohne Bad? Oder bei Wohnraum, der weder mit einer Zentralheizung noch mit einem Bad ausgestattet ist?
1.6Hinweise zur Satzlänge und zum Satzbau
Kürzere Sätze sind leichter zu verstehen als längere Sätze. Das durchschnittliche Kurzzeitgedächtnis ist nicht in der Lage, Sätze mit mehr als sieben Objekten oder 22 Wörtern zu erfassen. Wenn längere Sätze gebildet werden müssen, sollten sie besonders klar gebaut sein. Die folgenden Hinweise zum Satzbau bieten hierfür Anhaltspunkte.
Wichtige Aussagen sollten an die grammatisch entscheidenden Stellen eines Satzes (z. B. Subjekt oder Objekt) gerückt werden. Dies kann vielfach bereits dadurch erreicht werden, dass das Prädikat möglichst weit vorn steht. Nebensätze sollten nach Möglichkeit hinter dem Prädikat des Hauptsatzes stehen.
Beispiel:
Statt: Die zuständige Behörde kann gegenüber Zertifizierungsstellen Maßnahmen zur Sicherstellung der Einhaltung dieses Gesetzes und der Rechtsverordnung treffen.
Besser: Die zuständige Behörde kann gegenüber Zertifizierungsstellen Maßnahmen treffen, um sicherzustellen, dass sie dieses Gesetz und die Rechtsverordnung einhalten.
Ein Satz sollte nach Möglichkeit nur eine Aussage enthalten. Schachtelsätze, die aus einem Hauptsatz und mehreren Nebensätzen bestehen, sollten in mehrere Hauptsätze oder kürzere Satzgefüge aufgelöst werden.
Beispiel:
Statt: Das Übergangsgeld wird für die Zeit, die der Beamte das Amt, aus dem er entlassen worden ist, innehatte, mindestens für die Dauer von sechs Monaten, längstens für die Dauer von drei Jahren, gewährt.
Besser: Das Übergangsgeld wird nach der Entlassung für die Zeit gewährt, die der Beamte oder die Beamtin das letzte Amt innehatte. Sie beträgt mindestens sechs Monate, längstens drei Jahre.
Sätze dürfen nicht mit zu vielen Satzgliedern überfrachtet werden. Häufig werden solche Sätze über Genitiv- oder Substantivketten ausgebaut. Diese sollten umformuliert werden.
Beispiele:
Statt: …, dass die Möglichkeit des Eintritts des Versicherungsfalls schon ausgeschlossen ist.
Besser: …, dass der Versicherungsfall nicht mehr eintreten kann.
Statt: Die Pflegedienste haben mit Einverständnis der pflegebedürftigen Person der zuständigen Pflegekasse die bei dem Pflegeeinsatz gewonnenen Erkenntnisse zur Qualität der Pflegesituation und zur Notwendigkeit einer Verbesserung mitzuteilen.
Besser: Die Pflegedienste haben die zuständige Pflegekasse nach dem Pflegeeinsatz über die Qualität der häuslichen Pflege und über notwendige Verbesserungen zu unterrichten. Die Pflegebedürftigen müssen hiermit einverstanden sein.
Das Verständnis wird auch erschwert, wenn zu viel zwischen zusammengehörigen Gliedern im Satz steht. Ist ein Prädikat mehrteilig, entsteht zwischen den einzelnen Teilen ein Rahmen oder eine Klammer (Satzklammer/verbale Klammer).
Beispiele:
muss … nachweisen
kann … beantragen
wird … gewährt
ist … ausgeschlossen bei …
schließt … ein
In den Rahmen, der durch diese Elemente gebildet wird, können zwar beliebig viele Satzglieder aufgenommen werden. Jedoch besteht – besonders in Fachsprachen – die Gefahr, den Rahmen zu überdehnen. Dagegen helfen zwei Mittel: Ausrahmung (oder Ausklammerung) und Nachtrag.
Beispiel:
Statt: Der Medizinische Dienst hat Maßnahmen zur Rehabilitation, Art und Umfang von Pflegeleistungen sowie einen individuellen Pflegeplan zu empfehlen.
Besser: Der Medizinische Dienst empfiehlt Maßnahmen zur Rehabilitation …
Sehr häufig ist auch die Nominalklammer. Wenn zwischen Artikel und Nomen zu viele Attribute stehen, führt das zu Verständnisschwierigkeiten. Diese lassen sich vermeiden, indem ein Relativsatz angeschlossen wird.
Beispiel:
Statt: … und ob die sich sonst aus der Anerkennung oder den Auflagen ergebenden Pflichten erfüllt werden.
Besser: … und ob die Pflichten erfüllt werden, die sich aus der Anerkennung oder den Auflagen ergeben.
Die Wiederholung von Substantiven kann vermieden werden, indem man z. B. „dies“, „er/sie/es“, „solche“, „welche“ oder „dabei“, „hierdurch“ verwendet. Allerdings muss die Zuordnung eindeutig sein.
Beispiele:
§ 267 Absatz 1 des Handelsgesetzbuchs:
Kleine Kapitalgesellschaften sind solche, die mindestens zwei der drei nachstehenden Merkmale nicht überschreiten: …
§ 10 Absatz 1 Satz 1 und 2 des Jugendgerichtsgesetzes:
Weisungen sind Gebote und Verbote, welche die Lebensführung des Jugendlichen regeln und dadurch seine Erziehung fördern und sichern sollen. Dabei dürfen an die Lebensführung des Jugendlichen keine unzumutbaren Anforderungen gestellt werden.
Erläuternde Zusätze wie „beispielsweise“, „insbesondere“, „vor allem“ und „zum Beispiel“ (Rn. 88) sollten in einen eigenen Satz gestellt werden, wenn sie eine gewisse Länge überschreiten.
Beispiel:
Statt: Die Pflegekassen haben die Versicherten und ihre Angehörigen in den mit der Pflegebedürftigkeit zusammenhängenden Fragen, insbesondere über die Leistungen der Pflegekassen sowie über Leistungen und Hilfen anderer Träger, zu unterrichten und zu beraten.
Besser: Die Pflegekassen haben die Versicherten und ihre Angehörigen in den Fragen zu unterrichten und zu beraten, die mit der Pflegebedürftigkeit zusammenhängen. Das sind insbesondere Fragen zu den Leistungen der Pflegekassen sowie den Leistungen und Hilfen anderer Träger.
Wenn Infinitivkonstruktionen verwendet werden, ist auf den richtigen Bezug zu achten. Anderenfalls kann die Normaussage verfälscht werden. Oft ist es besser, die Infinitivkonstruktion durch einen Nebensatz mit „dass“ oder „damit“ zu ersetzen.
Beispiel:
Statt: Die Leistungsträger haben darauf hinzuwirken, die Pflegebedürftigkeit zu überwinden.
Besser: …, dass die Pflegebedürftigkeit überwunden wird.
Je nachdem, ob das Prädikat im Aktiv oder im Passiv steht, werden die Handelnden oder der „Handlungsgegenstand“ hervorgehoben.
Es sollte daher aktivisch formuliert werden, wenn es aus Gründen der Rechtssicherheit notwendig ist, klarzustellen, wer gehandelt hat oder wer handeln soll. Ebenfalls sollte aktivisch formuliert werden, wenn sonst der Hinweis auf den Handelnden mit „von“, „durch“ oder „seitens“ angeschlossen würde und komplizierte oder mehrdeutige Satzkonstruktionen entstünden.
Beispiel:
Statt: Der Aufbau des Bundesamtes wird durch das Bundesministerium … geregelt.
Besser: Das Bundesministerium … regelt den Aufbau des Bundesamtes.
Passivische Formulierungen sind dagegen häufig kürzer, da der Handlungsträger weggelassen werden kann; die Handlung steht im Vordergrund und nimmt eher den Charakter eines anonymen Vorgangs an.
Beispiel:
§ 7a Absatz 1 Satz 2 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes:
Die Erlaubnis wird erteilt, wenn die Anforderungen an Eisenbahnen nach diesem Gesetz und den darauf beruhenden Rechtsverordnungen erfüllt sind.
1.7Hinweise zum Textaufbau
Der folgerichtige Aufbau und die klare Gliederung eines Textes können erheblich zum besseren Verständnis beitragen. Daher sollte bereits von Anfang an darauf geachtet werden, dass inhaltlich Zusammengehöriges zusammensteht und dass die Aussagen von der Hauptsache zu untergeordneten Sachverhalten, vom Grundsätzlichen zum Besonderen fortschreiten. Um den Inhalt auch formal zu strukturieren, sollen die vorgegebenen Gliederungsmöglichkeiten genutzt werden. Das gilt sowohl für den gesamten Text (z. B. Abschnitt, Kapitel, Teil, s. Rn. 377 ff.) als auch für die einzelnen Vorschriften (Rn. 368 ff.). So liegt es nahe, für eine neue inhaltliche Aussage einen neuen Paragraphen oder einen neuen Absatz vorzusehen. Nach Möglichkeit sollte ein Paragraph höchstens aus fünf Absätzen und ein Absatz höchstens aus drei Sätzen bestehen.
Überflüssiges soll weggelassen werden.
Beispiele:
Statt: Die Vorschriften der §§ 10 und 11 sind entsprechend anzuwenden.
Besser: Die §§ 10 und 11 sind entsprechend anzuwenden.
Statt: … die regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens …
Besser: … die regelmäßigen Verrichtungen des täglichen Lebens …
Aufzählungen, z. B. von Rechten und Pflichten, von Voraussetzungen und Rechtsfolgen, von betroffenen Personen und Sachverhalten, sind in Gesetzestexten unerlässlich. Das Erfassen kann erleichtert werden, indem die Aufzählungsglieder listenförmig angeordnet und durchnummeriert werden (Rn. 92). Diese Verständnishilfe empfiehlt sich vor allem, wenn mehrere längere Aufzählungsglieder hintereinander stehen. Besonders wichtig hierbei ist es, Sätze oder Satzteile abzuschließen, bevor die Aufzählung beginnt.
Beispiel:
Der Antrag muss enthalten:
- 1.
- die Bezeichnung der Beteiligten, ihrer gesetzlichen Vertreter und der Verfahrensbevollmächtigten;
- 2.
- die Bezeichnung des Gerichts, bei dem der Antrag gestellt wird;
- 3.
- die Angabe des Geburtsdatums des Kindes;
- 4.
- …
- …
- 13.
- die Erklärung, dass die Festsetzung im vereinfachten Verfahren nicht nach § … ausgeschlossen ist.
Aufzählungen im Fließtext bleiben bis zum Schluss klar und übersichtlich, wenn Artikel und Präpositionen vor den einzelnen Aufzählungsgliedern wiederholt werden.
Beispiel:
Statt: Das Bundesministerium … berichtet … über die Entwicklung der Pflegeversicherung, den Stand der pflegerischen Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland und die Umsetzung der Empfehlungen und Vorschläge des Ausschusses für Fragen der Pflegeversicherung.
Besser: Das Bundesministerium … berichtet … über die Entwicklung der Pflegeversicherung, über den Stand der pflegerischen Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland und über die Umsetzung der Empfehlungen und Vorschläge des Ausschusses für Fragen der Pflegeversicherung.
In einer Aufzählung kann eine Gewichtung durch eine entsprechende steigende oder fallende Anordnung der Aufzählungsglieder (Klimax und Antiklimax) verdeutlicht werden. Inhaltliche Gemeinsamkeiten treten bei gleichem grammatischem Aufbau von Satzteilen oder Sätzen (sog. parallele Struktur) besonders hervor.
Beispiele:
Antiklimax:
Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, …
parallele Struktur:
Mit Freiheitsstrafe … wird bestraft, wer
- 1.
- einen Diebstahl begeht, bei dem er oder ein anderer Beteiligter
- a)
- eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,
- b)
- sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person … zu überwinden, …
1.8Sprachliche Gleichbehandlung von Frauen und Männern
Gesetzentwürfe sollen die Gleichstellung von Frauen und Männern auch sprachlich zum Ausdruck bringen (§ 42 Absatz 5 Satz 2 GGO, § 1 Absatz 2 des Bundesgleichstellungsgesetzes). Werden in Vorschriften Personen bezeichnet, stimmt das grammatische Geschlecht der gewählten Personenbezeichnungen jedoch nicht immer mit dem natürlichen Geschlecht der benannten Personen überein. Herkömmlich wird die grammatisch maskuline Form verallgemeinernd verwendet (generisches Maskulinum). In Fällen, in denen das Geschlecht nicht bekannt oder für den jeweiligen Zusammenhang unwichtig ist, kann das gerechtfertigt sein. So können mit den Bezeichnungen „der Eigentümer“, „der Verkäufer“, „der Mieter“ männliche und weibliche, aber auch juristische Personen gemeint sein.
Beispiel:
§ 535 des Bürgerlichen Gesetzbuchs:
(1) Durch den Mietvertrag wird der Vermieter verpflichtet, dem Mieter den Gebrauch der Mietsache während der Mietzeit zu gewähren. Der Vermieter hat die Mietsache dem Mieter in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand zu überlassen und sie während der Mietzeit in diesem Zustand zu erhalten. Er hat die auf der Mietsache ruhenden Lasten zu tragen.
(2) Der Mieter ist verpflichtet, dem Vermieter die vereinbarte Miete zu entrichten.
Personenbezeichnungen, die nur feminin sind, gibt es selten (z. B. die Waise, die Geisel, die Person).
Aus dem Grundsatz der Gleichberechtigung von Männern und Frauen (Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes) folgt, dass sich Vorschriften in der Regel in gleicher Weise an Männer und Frauen richten. Allerdings kann die Häufung maskuliner Personenbezeichnungen den Eindruck erwecken, Frauen würden übersehen oder nur „mitgemeint“. Sprachliche Gleichbehandlung in Rechtsvorschriften hat zum Ziel, Frauen direkt anzusprechen und als gleichermaßen Betroffene sichtbar zu machen.
In Vorschriftentexten darf die sprachliche Gleichbehandlung von Frauen und Männern jedoch nicht auf Kosten der Verständlichkeit oder der Klarheit gehen. Daher gelten für Rechtstexte folgende Grundsätze:
- Die Personenbezeichnung muss eindeutig sein (nicht: „der Käufer und/oder die Käuferin“).
- Der Text muss so formuliert sein, dass er auch dann verständlich ist, wenn er vorgelesen wird.
- Der Text muss übersichtlich bleiben.
- Die Formulierung sollte nicht zu sehr vom allgemeinen Sprachgebrauch abweichen.
Die Empfehlungen zur sprachlichen Gleichbehandlung von Männern und Frauen gelten nur eingeschränkt für Personenbezeichnungen, die (auch) juristische Personen, deren Organe oder sonstige, nicht rechtsfähige Zusammenschlüsse von Personen erfassen. Denn im Unterschied zu natürlichen Personen haben sie nur ein grammatisches Geschlecht. Werden zugleich ebenfalls natürliche Personen angesprochen, muss im Interesse der Verständlichkeit des Textes deren natürliches Geschlecht nicht gesondert hervorgehoben werden.
Beispiele:
für ausschließlich natürliche Personen:
Bürger und Bürgerinnen, Soldaten und Soldatinnen
für u. a. juristische Personen:
Vermieter, Mieter, Arbeitgeber
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, um Frauen und Männer sprachlich gleichzubehandeln, vor allem:
- geschlechtsneutrale Personenbezeichnungen („die Lehrkraft“, „die Vertrauensperson“, „das Mitglied“, „der Flüchtling“),
- kreative Umschreibungen, die es ermöglichen, auf Personenbezeichnungen zu verzichten („wer den Vorsitz führt, …“, „als Vertretung ist bestellt …“),
- Paarformen („Beamte und Beamtinnen“).
Die Sparschreibung von Paarformen ist für Vorschriftentexte nicht erlaubt. Schreibungen mit großem „I“ inmitten eines Wortes, mit Schrägstrich oder mit Klammer können nicht mündlich vorgetragen werden. Der doppelte Artikel („der/die KäuferIn“) im Singular macht den Text unübersichtlich. Dieses Problem verschärft sich zusehends, wenn dekliniert wird („des/der Käufer/s/In“, „den Käufer(n)/Innen“).
Geschlechtsneutrale Personenbezeichnungen, die nichts über das natürliche Geschlecht der bezeichneten Person oder Personen aussagen, verwirklichen die Forderung nach sprachlicher Gleichbehandlung von Männern und Frauen am besten. Sie sollten bevorzugt verwendet werden, um generische Maskulina zu ersetzen.
Hier bieten sich folgende Bezeichnungen an:
- Zusammensetzungen und Formulierungen mit geschlechtsneutralen Wörtern wie „Person“, „Mitglied“, „Hilfe“, „Kraft“, „Seite“, „Teil“, „Leute“ („eine andere Person“ statt „ein anderer“, „Vertrauensperson“ statt „Vertrauensmann“, „Ratsmitglied“ statt „Ratsherr“, „Haushaltshilfe“ statt „Putzfrau“, „Teilzeitkraft“ statt „Mitarbeiter in Teilzeit“),
- geschlechtsneutrale Substantive, von denen keine weibliche Form abgeleitet werden kann, wie „Mensch“, „Opfer“, „Vormund“ und Zusammensetzungen auf „-ling“ („Prüfling“, „Flüchtling“),
- geschlechtsneutrale Formen von Pronomen („alle“, „diejenigen“, „niemand“),
- Gruppen-, Sach- und Vorgangsbezeichnungen, etwa Zusammensetzungen auf „ schaft“, „-personal“ oder Ausdrücke wie „Dekanat“, „Geschäftsleitung“, „Präsidium“, „Vorsitz“, „Vertretung“,
- Pluralformen von substantivierten Adjektiven („Angehörige“, „Sachverständige“, „Deutsche“, „Minderjährige“) und Partizipien („Heranwachsende“, „Angestellte“, „Beschäftigte“, „Versicherte“), wenn eine Personengruppe benannt werden soll. Bei substantivierten Adjektiven und Partizipien ist auch im Singular die maskuline und die feminine Form gleich, so dass nur der Artikel parallel verwendet werden muss („der oder die Sachverständige“, „der oder die Angestellte“).
Bei der kreativen Umschreibung werden geschlechtsspezifische Ausdrücke neutral umschrieben. Hier gibt es verschiedene Möglichkeiten:
- adverbiale Bestimmungen (statt „handeln als Vertreter“ besser „handeln im fremden Namen“),
- Formulierungen mit Attributen (statt „Rat eines Arztes“ besser „ärztlicher Rat“),
- verbale Umschreibungen, die ohnehin grundsätzlich dem Substantivstil vorzuziehen sind (statt „Rechtsnachfolger ist“ besser „in die Rechtsstellung ist eingetreten“),
- passivische Formulierungen, wenn klar ist, wer handeln soll oder gehandelt hat (statt: „Der Antragsteller muss folgende Unterlagen beifügen: …“, besser: „Dem Antrag sind folgende Unterlagen beizufügen: …“; Rn. 104),
- Relativsätze mit dem Pronomen „wer“. Zwar erfolgt der Rückbezug auf das Wort „wer“ mit maskulinen Wortformen („wer …, hat sein Recht verwirkt“). Deren Häufung lässt sich jedoch vermeiden, indem geprüft wird, ob sie nicht in eindeutigen Zusammenhängen entbehrlich sind oder durch „eigen“ ersetzt werden können.
Beispiele:
Statt: Wer das Gelände betritt, hat seinen Dienstausweis vorzuzeigen.
Besser: Wer das Gelände betritt, hat den Dienstausweis vorzuzeigen.Statt: Wer sein Haus nicht abschließt, …
Besser: Wer das eigene Haus nicht abschließt, …
Eine durchgängige Verwendung von ausgeschriebenen Paarformen kann Gesetzestexte unübersichtlich machen und vom Regelungsinhalt ablenken. Diese Nachteile lassen sich vermeiden, wenn Paarformen nur gelegentlich verwendet und zugleich die Möglichkeiten geschlechtsneutralen Formulierens (Rn. 116) genutzt werden. Paarformen sollten vor allem an zentralen Stellen im Vorschriftentext stehen. Dies sind etwa Textstellen, wo es um Funktionen, Rechte und Pflichten einzelner Personen geht und es darum wichtig ist, zu zeigen, dass diese sowohl Männer als auch Frauen betreffen. Paarformen können auch geschickt eingesetzt werden, um Frauen an geeigneter Stelle sichtbar zu machen oder um dort eine Lösung zu finden, wo eine geschlechtsneutrale Gestaltung nicht möglich ist, z. B. bei Bezeichnungen einzelner Personen („die Präsidentin oder der Präsident“, „die Bundesministerin oder der Bundesminister“).
Wird eine Rechtsvorschrift geändert, sollen bei dieser Gelegenheit generische Maskulina, die innerhalb desselben Rechtstextes neben Paarformen verwendet werden, grundsätzlich durch geschlechtsneutrale Personenbezeichnungen oder kreative Umschreibungen ersetzt werden.
Sollen ausnahmsweise nur Männer gemeint sein, so ist dies deutlich zu machen, z. B. durch den Zusatz „männlich“, „nur“ oder „ausschließlich“. Entbehrlich sind solche Zusätze bei Vorschriften, von denen auf Grund einer Festlegung des Gesetzgebers an anderer Stelle nur Männer betroffen sind (z. B. im Zusammenhang mit Wehrpflicht oder Zivildienst).
Beispiele:
§ 80 des Soldatengesetzes:
Unterliegen die in § 59 genannten Personen der Wehrpflicht (§§ 1 und 3 des Wehrpflichtgesetzes), sind die dafür geltenden Bestimmungen vorrangig anzuwenden.
§ 1 Absatz 1 des Wehrpflichtgesetzes:
Wehrpflichtig sind alle Männer vom vollendeten 18. Lebensjahr an, die Deutsche im Sinne des Grundgesetzes sind …
Soweit es um Berufs-, Amts- und Funktionsbezeichnungen geht, sollten die Gesetze und Rechtsverordnungen die für Männer und Frauen jeweils zutreffenden Bezeichnungen ausdrücklich festlegen. Ältere Vorschriften, die diesem Anspruch nicht oder nur teilweise gerecht werden, müssen bei einem Änderungsvorhaben angepasst werden.
Beispiele:
Ausübung des ärztlichen Berufs ist die Ausübung der Heilkunde unter der Berufsbezeichnung „Arzt“ oder „Ärztin“.
„Krankenschwestern", „Krankenpfleger", „Kinderkrankenschwestern", „Kinderkrankenpfleger", die eine Erlaubnis oder eine einer solchen Erlaubnis gleichgestellte staatliche Anerkennung besitzen, dürfen die Berufsbezeichnung weiterführen.
Wer die Berufsbezeichnung „Hebamme" oder „Entbindungspfleger" führen will, bedarf der Erlaubnis.
Der Ausbildungsberuf „Bestattungsfachkraft“ wird staatlich anerkannt.
Berufs-, Amts- und Funktionsbezeichnungen, die auf „-mann“ enden, z. B. „Vertrauensmann“ oder „Amtmann“ sind in der konkreten Anwendung für Frauen unzumutbar. Sie sollten deshalb bei Gesetzesänderungen alsbald durch geschlechtsneutrale Ausdrücke („Vertrauensperson“) ersetzt oder um entsprechende Bezeichnungen auf „-frau“ („Amtfrau“) ergänzt werden.
Soweit die Gestaltung und Wortwahl für Formulare (z. B. Anträge) und persönliche Dokumente (z. B. Ausweise, Pässe, Urkunden) durch Rechtsvorschriften festgelegt sind, muss darauf geachtet werden, dass die verwendeten Wörter auch auf Frauen zutreffen. Dies kann durch geschlechtsneutrale Formulierungen gewährleistet werden („Unterschrift“ statt „Unterschrift des Inhabers“) oder – wenn dies nicht möglich ist – durch Paarformen mit ausgeschriebenen Bezeichnungen für Männer und Frauen („Unterschrift des Inhabers oder der Inhaberin“). Sind im Einzelfall Paarformen, bei denen die unzutreffende Form gestrichen wird, nicht möglich oder nicht erwünscht (z. B. in Urkunden), so sind diese Dokumente gesondert für Männer und Frauen auszustellen.
Welche Formulierung nach fachlichen und sprachlichen Gesichtspunkten vorzuziehen ist, lässt sich jeweils nur für die einzelne Vorschrift im konkreten Regelungszusammenhang beurteilen. Am ehesten gelingt es, fachlich und sprachlich einwandfrei und zugleich geschlechtergerecht zu formulieren, wenn geschlechtsneutrale Gestaltungsmöglichkeiten ausgeschöpft und dabei Paarformen geschickt eingesetzt werden.
1.9Schreibweisen
Die folgenden Empfehlungen sollten im Interesse eines einheitlichen Erscheinungsbildes aller Rechtsvorschriften sorgfältig beachtet werden. Abweichungen können nur gerechtfertigt sein, um das einheitliche Erscheinungsbild eines einzelnen Gesetzes oder einer einzelnen Rechtsverordnung zu wahren. Dies kann z. B. notwendig sein, wenn Änderungen formuliert werden, die in „alte“ Vorschriftentexte eingefügt werden.
Bei der Schreibweise von Zahlen ist Folgendes zu beachten: Eine Ziffer ist ein Zeichen für eine Zahl. Es gibt zehn arabische Ziffern (0 bis 9) und sieben römische Ziffern (I, V, X, L, C, D, M). Die Zahl 15 besteht also aus den arabischen Ziffern 1 und 5, die Zahl IX aus den römischen Ziffern I und X.
Zahlen bis einschließlich zwölf werden, wenn sie als Grund- und Ordnungszahlen verwendet werden, grundsätzlich in Wörtern, die Zahlen ab 13 aufwärts grundsätzlich in Ziffern ausgedrückt.
Beispiel:
In allen Dienststellen, die in der Regel mindestens fünf Wahlberechtigte beschäftigen, von denen drei wählbar sind, werden Personalräte gebildet. Nicht wählbar sind Beschäftigte, die wöchentlich regelmäßig weniger als 18 Stunden beschäftigt sind.
Die Zahl 1 kann als Ziffer geschrieben werden, wenn die Unterscheidung von dem unbestimmten Artikel „ein“ dies erfordert.
Stets mit Ziffern werden Uhrzeiten, Prozentzahlen, technische Daten wie Maße, Gewichte und sonstige normierte Einheiten sowie schematische Aufzählungen ausgedrückt. Einstelligen Ziffern wird keine Null vorangestellt.
Beispiel:
§ 1 Absatz 3 des Zeitgesetzes:
Die koordinierte Weltzeit ist bestimmt durch eine Zeitskala mit folgenden Eigenschaften:
- 1.
- Sie hat am 1. Januar 1972, 0 Uhr, dem Zeitpunkt 31. Dezember 1971, 23 Uhr 59 Minuten 59,96 Sekunden, der mittleren Sonnenzeit des Nullmeridians entsprochen.
- 2.
- …
Die Bezeichnungen für Maße, Gewichte und sonstige normierte Einheiten werden im laufenden Text einer Vorschrift ausgeschrieben. In Tabellen, Übersichten usw. können sie mit den üblichen Abkürzungen aufgeführt werden (Rn. 139 ff.).
Bruchteile werden in Wörtern geschrieben, wenn sie im laufenden Text verwendet werden.
Beispiele:
Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages.
Bedarf der Beschluss der Hauptversammlung einer qualifizierten Mehrheit (Zweidrittel- oder Dreiviertelmehrheit), …
Bei der Berechnung des Wertes für kürzere Zeiträume als einen Monat ist für jeden Tag ein Dreißigstel des Wertes … zugrunde zu legen.
Das Verhältnis zweier Größen zueinander kann wie folgt angegeben werden: „Das Verhältnis Vitamin B 12 zu Mannit (E 421) darf nicht kleiner als 1 : 1 000 sein.“
Wörter, die aus einer Zahl und einer Nachsilbe gebildet sind, werden zusammengeschrieben („achtfach“, „achtmal“). Dies gilt auch, wenn die Zahl in Ziffern geschrieben wird („27fach“).
Beispiele:
§ 56 Absatz 2 Satz 3 des Filmförderungsgesetzes:
Bei Filmtheatern, die beide Voraussetzungen des Satzes 2 erfüllt haben, werden die Besucherzahlen vierfach gezählt.
§ 8 der Zivilprozessordnung:
Ist das Bestehen oder die Dauer eines Pacht- oder Mietverhältnisses streitig, so ist der Betrag der auf die gesamte streitige Zeit entfallenden Pacht oder Miete und, wenn der 25fache Betrag des einjährigen Entgelts geringer ist, dieser Betrag für die Wertberechnung entscheidend.
Zahlen mit mehr als drei Stellen werden, vom Dezimalzeichen ausgehend, durch Zwischenräume in Gruppen zu je drei Ziffern getrennt. Hiervon gibt es Ausnahmen (z. B. Seitenzahlen). Punkte werden zur Gruppeneinteilung nicht verwendet.
Beispiel:
§ 23 Absatz 3 Satz 2 des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes:
Die Entschädigung beträgt
- 1.
- bei einer Investitionssumme von mehr als 10 000 bis 25 000 Euro für jede Stunde der Benutzung 5 Euro; …
Beim Datum werden einstellige Tageszahlen ohne vorangestellte Null geschrieben. Monatsnamen sind immer auszuschreiben. Die Jahreszahl ist vierstellig anzugeben.
Beispiel:
Dieses Gesetz tritt am 1. Januar 2009 in Kraft.
In Übersichten, Tabellen, Vordrucken u. Ä. sind abweichende Schreibweisen zulässig, wenn es aus gestalterischen Gründen erforderlich ist. Innerhalb eines solchen Bestandteils ist einheitlich zu verfahren.
Geldbeträge werden in Ziffern ausgedrückt. Werden Beträge im laufenden Text einer Rechtsvorschrift angegeben, müssen die Wörter „Millionen“ und „Milliarden“ ausgeschrieben werden. Die Anzahl der Millionen oder Milliarden wird in Ziffern ausgedrückt.
Beispiel:
§ 22 Absatz 2 Satz 1 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes:
Der Wert beträgt in derselben Angelegenheit höchstens 30 Millionen Euro, …
Hiervon gibt es Ausnahmen (siehe auch Rn. 135 f.). So ist bei Rechtsänderungen unter Berücksichtigung des vorhandenen Textes auf ein einheitliches Erscheinungsbild zu achten. Werden ausnahmsweise Geldbeträge in Wörtern ausgedrückt, muss das Zahlwort „ein“ wie der unbestimmte Artikel dekliniert werden.
Beispiel:
Der Mindestnennwert einer Aktie muss einen Euro betragen.
In Haushaltsgesetzen und in Tabellen werden Beträge in Millionen- oder Milliardenhöhe in Ziffern ausgedrückt.
Beispiel:
§ 1 des Haushaltsgesetzes 2007:
Der diesem Gesetz als Anlage beigefügte Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2007 wird in Einnahmen und Ausgaben auf 270 500 000 000 Euro festgestellt.
Bei der Angabe von Geldbeträgen wird die Bezeichnung der Währung dem Betrag nachgestellt. Die Währungsbezeichnungen werden grundsätzlich ausgeschrieben, können aber in Übersichten, Tabellen, Vordrucken u. Ä. abgekürzt werden (Beispiel: „EUR“, „SFR“) oder durch ein allgemein bekanntes Währungssymbol ausgedrückt werden (Beispiel: „€“, „$“). Innerhalb von Betragsangaben bleiben die Währungsbezeichnungen unverändert in der Singularform, auch wenn sie Beträge größer als 1 bezeichnen („10 Cent“, „50 Euro“). Bei Geldbeträgen, die auf volle Euro lauten, werden leere Dezimalstellen nicht angegeben („Schwerbehinderte erhalten … einen Zuschlag von 68 Euro monatlich“); in Übersichten, Tabellen, Vordrucken u. Ä. sind abweichende Schreibweisen zulässig.
Sollen Zahlen gerundet werden, ist anzugeben, auf welche Einheit und nach welchen Regeln gerundet werden soll.
Beispiel:
§ 30b der Straßenverkehrs-Zulassungsordnung:
Der Hubraum ist wie folgt zu berechnen:
- 1.
- …
- 3.
- Der Hubraum ist auf volle Kubikzentimeter auf- oder abzurunden.
- 4.
- Folgt der zu rundenden Stelle eine der Ziffern 0 bis 4, so ist abzurunden, folgt eine der Ziffern 5 bis 9, so ist aufzurunden.
1.10Abkürzungen
Abkürzungen werden im laufenden Text von Rechtsvorschriften grundsätzlich nicht verwendet. Auszuschreiben sind daher „zum Beispiel“, „in Verbindung mit“, „in der Fassung vom“ und „insbesondere“.
Es gibt nur wenige Ausnahmen, in denen Abkürzungen zulässig sind. So werden in Fundstellenangaben festgelegte Abkürzungen für die Veröffentlichungsorgane verwendet (Rn. 178 f.). Auch Eigennamen oder andere offizielle Bezeichnungen, zu deren Bestandteilen Abkürzungen gehören, können in einer Vorschrift enthalten sein. Oft sind Abkürzungen in Tabellen, Übersichten oder Formeln zur besseren Darstellung geboten.
Wenn Abkürzungen verwendet werden, ist möglichst auf offizielle oder allgemeinübliche Abkürzungen oder Zeichen zurückzugreifen.
So sind beispielsweise Einheiten und Einheitenzeichen für Maße, Gewichte und sonstige normierte Einheiten (Rn. 178) der Einheitenverordnung21 zu entnehmen. Die Verordnung gibt auch Auskunft über die Verwendung von Vorsätzen und Vorsatzzeichen zur Bezeichnung von dezimalen Vielfachen und Teilen von Einheiten (z. B. Kilo, Dezi, Milli, Mikro).
Abkürzungen für die Verfassungsorgane, für die obersten Bundesbehörden und für die obersten Gerichtshöfe des Bundes sowie für Bundesbehörden, für Bundesgerichte, für Bundesstellen und für sonstige Einrichtungen sind im Abkürzungsverzeichnis des Bundesverwaltungsamtes22 aufgeführt.
21Einheitenverordnung vom 13. Dezember 1985 (BGBl. I S. 2272), die zuletzt durch Artikel 5 des Gesetzes vom 3. Juli 2008 (BGBl. I S. 1185) die Verordnung vom 10. März 2000 (BGBl. I S. 214, 447) geändert worden ist, in der jeweils geltenden Fassung22Bekanntmachung des Bundesverwaltungsamts vom 15. August 2005 (GMBl S. 1061)
Abkürzungen, die nicht allgemein bekannt sind, müssen erklärt werden, beispielsweise durch eine Legende, Klammerhinweise oder Fußnoten. Dies ist nur dann nicht notwendig, wenn die Abkürzung im Hinblick auf den Adressatenkreis der Vorschrift als bekannt vorausgesetzt werden kann.
Werden neue Abkürzungen zur ausschließlichen Verwendung in einer Rechtsvorschrift (Anlage, Tabelle, Formel) gebildet, sollte sich das gewählte Kürzel aus den Bestandteilen der Langform zusammensetzen. Enden solche Abkürzungen auf Großbuchstaben (z. B. „PKH“ für Prozesskostenhilfe), werden sie ohne Punkt geschrieben.
1.11Stichtage und Fristen
Stichtagsregelungen und Fristen sind von großer Bedeutung. Sie entscheiden darüber, ob Rechte entstanden oder untergegangen sind, ob die Handlung einer Person rechtserheblich ist oder nicht, ob Regelungen wirksam oder nicht mehr gültig sind. Stichtagsregelungen und Fristen müssen Rechtsklarheit und -sicherheit gewährleisten. Es ist daher besonders wichtig, dass sie z. B. bei Übergangsvorschriften sowie bei Inkrafttretens- und Außerkrafttretensvorschriften sprachlich genau und eindeutig gefasst werden.
Ein Stichtag soll meist einen Einschnitt kennzeichnen, z. B. den Wechsel vom alten zum neuen Recht, und damit den Beginn oder das Ende eines Zeitraumes oder einer Frist (Rn. 149 ff.) markieren. Die Formulierung von Stichtagen muss eindeutig zum Ausdruck bringen, ob der jeweils genannte Tag einbezogen wird.
Bei Formulierungen von Stichtagen ist Vorsicht angebracht. Missverständlich ist etwa eine Formulierung wie „Der Antrag kann bis 12. Dezember 2008 gestellt werden.“ Denn aus solch einer Formulierung geht nicht zweifelsfrei hervor, ob der 12. Dezember 2008 bei der Berechnung des Zeitraums mitgezählt werden muss oder nicht. Hier können andere Formulierungen Klarheit schaffen:
Beispiele:
Wenn der 12. Dezember 2008 nicht mitgezählt werden soll, das Ende des Zeitraums also der 11. Dezember 2008, 24 Uhr, ist:
- Der Antrag kann bis zum Ablauf des 11. Dezember 2008 gestellt werden.
- Der Antrag kann bis einschließlich 11. Dezember 2008 gestellt werden.
- Der Antrag kann nur vor dem 12. Dezember 2008 gestellt werden.
Je nach Regelungszweck können auch negative Abgrenzungen helfen:
Beispiele:
- Nach dem 11. Dezember 2008 kann ein Antrag nicht mehr gestellt werden.
- Anträge, die nach dem 11. Dezember 2008 gestellt werden, sind ausgeschlossen.
- Ab dem 12. Dezember 2008 gestellte Anträge sind ausgeschlossen.
Soll der Stichtag den Beginn eines Zeitraums markieren, kann wie folgt formuliert werden:
Beispiele:
Wenn der Beginn eines Zeitraums der 12. Dezember 2008, 0 Uhr, sein soll:
- Der Antrag kann ab dem 12. Dezember 2008 gestellt werden.
- Der Antrag kann frühestens am 12. Dezember 2008 gestellt werden.
- Der Antrag kann mit Beginn des 12. Dezember 2008 gestellt werden.
- Der Antrag kann nach dem 11. Dezember 2008 gestellt werden.
- Der Antrag kann nach Ablauf des 11. Dezember 2008 gestellt werden.
Bei der Verwendung von „am" ist zu unterscheiden, ob der Beginn eines in die Zukunft gerichteten Zeitraums bezeichnet wird oder das Ende eines aus der Vergangenheit wirkenden Zeitraums. Der genannte Tag ist stets gänzlich in die jeweils beginnende oder endende Frist einbezogen. So bedeutet „… tritt am 13. April 2008 in Kraft“, dass die Regelung mit Beginn des genannten Tages, 0 Uhr, zukünftig wirksam ist. Ist dagegen bestimmt „… tritt am 12. April 2008 außer Kraft“, verliert die bislang geltende Vorschrift ihre Wirksamkeit mit Ablauf des genannten Tages um 24 Uhr.
Wird in Rechtsvorschriften als Stichtag der erste oder der letzte Tag eines Monats oder eines Jahres genannt, ist in der Regel der Zeitpunkt des Jahres- oder Monatswechsels gemeint, also der Schluss des letzten Tages des Monats oder Jahres um Mitternacht (24 Uhr) oder der Anfang des ersten Tages des Monats oder Jahres um Mitternacht (0 Uhr). Das hat in der Rechtsetzungspraxis zu unterschiedlichen Formulierungen geführt. So wird der Zeitraum, der am 31. Dezember 2008, 24 Uhr, endet, durch die Formulierung „bis 31. Dezember 2008“ ebenso bezeichnet wie durch die Formulierung „bis 1. Januar 2009“.
Mit Rücksicht auf den allgemeinen Sprachgebrauch und im Interesse der Rechtsklarheit sollte auch in diesen Fällen der Zeitpunkt entsprechend Rn. 145 ff. unmissverständlich formuliert werden.
Eine Frist ist ein abgegrenzter, also bestimmter oder bestimmbarer Zeitraum. Fristen werden grundsätzlich nach ganzen Tagen berechnet. Fristbeginn ist der Anfang eines Kalendertages um Mitternacht (0 Uhr), Fristende der Schluss eines Kalendertages um Mitternacht (24 Uhr).
Bei Fristen, die nach Wochen, Monaten oder Jahren berechnet werden, ist oft unsicher, wie das Ablaufdatum zu ermitteln ist. Daher sollte stets klargestellt werden, was gemeint ist. Klar sind Bezugnahmen auf Kalenderwochen, -monate, -jahre. So hat zwar z. B. eine Woche stets sieben Tage; ist aber die Kalenderwoche als Frist bestimmt, beginnt die Frist erst mit dem nächsten Montag, 0 Uhr, und endet am darauf folgenden Sonntag, 24 Uhr.
Eindeutig ist, wenn zum Fristbeginn und -ende ein bestimmtes Datum nach den vorstehenden Empfehlungen angegeben wird.
Beispiele:
Vom 1. Januar 1995 bis zum Ablauf des 10. Juni 1995 bestimmt sich die Miete nach der Ersten und der Zweiten Grundmietenverordnung …
Vom 11. Juni 1995 an bis zum 31. August 2001 kann der Vermieter eine Erhöhung dieser Miete … verlangen.